Da war sie wieder, die Lüge. In meinem letzten Beitrag über Prof. Timothy Snyders Rede vor dem UN-Sicherheitsrat behaupteten die »russischen Ankläger« wieder einmal, dass russisch sprechende Menschen in der Ukraine unterdrückt würden. Und auch ich bekomme immer wieder die Frage nach der Sprache zu hören. Es wurde schon viel darüber geschrieben, hier noch einmal meine Gedanken und Erlebnisse dazu und vor allem die meiner Frau.
„Wer russisch spricht ist Russe“ oder „Wo russisch gesprochen wird, ist Russland“ ist Propagandamüll der Moskali. Damit rechtfertigen sie alles, es gälte ja Russen zu schützen. Und selbst in Deutschland gibt es tatsächlich Menschen, die das glauben. Da sollte man doch froh sein, dass die Engländer nicht so etwas von sich behaupten und ich bin da sogar froh, aus den 6 Jahren Russischunterricht nicht mehr behalten zu haben als »Guten Tag«, »Danke«, »Bitte« und »nicht verstehen«. Zumindest, bis ich meine Frau kennenlernte.
Der eine russische »Vertreter« bei der UN-Sitzung behauptete doch tatsächlich, in der Ukraine gäbe es ein Gesetz, welches die russische Sprache verbieten, russische Bücher verbrannt würden und verglich das wieder einmal mit der Schweiz, was dort wohl wäre, wenn die französische Sprache verboten würde. Das alles wäre die Barbarei des Selenskyj.
Und wie kann man die Ukraine mit der Schweiz vergleichen oder anderen, mehrsprachigen Staaten? Die russische Sprache ist die Sprache eines imperialistischen Kolonisten, welcher die Heimatsprache, eben das Ukrainisch, jahrhundertelang unterdrückte und versuchte auszurotten. Denn die Vorfahren der heute russischen Muttersprachler waren nichts anderes als Kolonialisten.
Die Gesetzeslage in der Ukraine
Die ukrainische Sprache wurde mit Erlangung der Unabhängigkeit 1991 alleinige Amtssprache. Der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch versuchte das Gesetz aufzuweichen und es kam 2012 zu einem neuen Gesetz. Dieses besagte, dass in Gebieten mit einem Anteil von wenigstens 10% Muttersprachlern eine Sprache zur regionalen Amtssprache erhoben werden kann. Unter Poroschenko wurde dann ein neues Gesetz vorbereitet und in der Amtszeit von Wolodymyr Selenskyj trat es 2019 in Kraft. Mit Übergangszeiten bis 2024 sah es unter anderem vor:
- Beamte sind verpflichtet, in ihren beruflichen Funktionen ukrainisch zu sprechen.
- Behörden und Dienstleister (darunter fallen Geschäfte, Restaurants, Sportstudios, usw.) sollen ihre Kunden zuerst auf Ukrainisch ansprechen, im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Kunden kann auch Russisch gesprochen werden.
- Buchläden müssen mindestens 50% ihres Bestandes auf Ukrainisch anbieten
- Überregionale Printmedien müssen in gleicher Auflage eine ukrainische Version anbieten
- Filme und Serien sollen auf Ukrainisch synchronisiert werden, Untertitel dann auf Russisch. Bisher war es oft umgekehrt.
- Onlineshops müssen eine ukrainische Version anbieten
Man sieht, es gibt kein Verbot der russischen Sprache, es wird nur die Verbreitung des Ukrainischen forciert. Wie Menschen untereinander reden, ist vollkommen egal. Ich glaube, auch Bildungseinrichtungen sind davon betroffen, es gibt aber auch weiterhin Russisch als Fremdsprachenfach, wenn gewünscht. Und auch viele ukrainisch sprechende Eltern haben nichts dagegen, wenn Kinder Russisch lernen. Es kann nur ein Vorteil sein, den Feind auch zu verstehen.
Umsetzung des Gesetzes und persönliche Erfahrungen
Wie viele Ukrainer weigert sich meine Frau seit dem Euromaidan und dem ersten Überfall Russlands, die russische Sprache zu verwenden. Das ist ihr gutes Recht. Denn mal ganz ehrlich, wo liegt das größte Problem? An einem nicht geringen Anteil der russischen »Muttersprachler« in der Ukraine!
Wieso soll es »normal« sein, dass Ukrainisch sprechende auf Russisch wechseln? Und wenn man es umgekehrt fordert, gibt es Probleme bis hin zu Anfeindungen?
Wir kaufen auch in der Ukraine gerne in Onlineshops. Hier ist es üblich, dass man nach einer Bestellung angerufen wird, um die Seriosität der Bestellung sicherzustellen. Oft sprechen die Verkäufer Russisch. Meine Frau verlangt nun, auf Ukrainisch reden zu dürfen. Mal klappt es, mal wird man zu einem anderen Mitarbeiter weitergeleitet, aber es ist (vor dem Krieg) auch schon vorgekommen, dass das Gegenüber einfach aufgelegt hat. Ist das Normal?
Allgemein ist bei uns die ukrainische Sprache normal, auch mit einzelnen Wörtern aus dem Russischen vermischt, so etwas passiert eben. Es gab da bisher wenig Probleme. Es ist jetzt leider etwas anders geworden, nachdem viele Flüchtlinge aus dem Osten bei uns auch Arbeit finden. Und wie wir selbst erfahren haben, sind doch sehr viele von denen uneinsichtig, obwohl sie Ukrainisch können. Zwei Beispiele, was uns in letzter Zeit passiert ist:
Wir kaufen in einem kleinen Laden auf dem Basar Kaffee, die Verkäuferin spricht Russisch. Meine Frau bittet darum, Ukrainisch mit ihr zu reden, das könnte sie nicht, kam als Antwort. Meine Frau verweist auf das Gesetz, flugs kam die Chefin und schickte die Verkäuferin nach hinten und bediente uns selbst.
In Chervona Sloboda machte ein neues Geschäft auf, 4 oder 5 Verkäuferinnen kümmern sich um die Kunden. Die uns bediente, sprach Russisch. Meine Frau bat freundlich darum, Ukrainisch zu sprechen. Daraufhin die Verkäuferin »Dazu habe ich keine Lust, Russisch ist mir lieber«. Und wie sie das sagte, hat sogar mich empört. Es handelte sich um eine junge Frau aus Kramatorsk. Meine Frau sagte ihr daraufhin, aber auch so, dass es der ganze Laden hörte, dass das hier die Oblast Tscherkasy ist und wenn sie nicht Ukrainisch sprechen will, sich eine andere Arbeit suchen sollte, denn laut Gesetz ist sie dazu verpflichtet. Daraufhin kamen ihr andere Verkäuferinnen zu Hilfe, vermutlich auch keine Einheimische. Das ist kein schöner Trend. Man kann nur hoffen, dass die neuen Mitbürger das irgendwann kapieren. Und es stellt sich dann natürlich die Frage, die ich weiter oben hervorgehoben habe.
Meiner Frau ist die russische Sprache, nach allem was passiert ist, jetzt richtig zuwider. Ist auch verständlich, oder? Warum soll sie sich verbiegen? In ihrem eigenen Land? Dafür gibt es keinen Grund. Und was ist denn so schlimm daran, die paar Sätze zu lernen, die man als Verkäuferin braucht? „Was kann ich für sie tun?“, „Möchten sie sonst noch etwas?“, „Darf es ein bisschen mehr sein?“, „Bitte“, „Danke“, „Auf Wiedersehen und kommen sie wieder“. Schon wenn meine Frau sieht, dass sich jemand wenigstens bemüht, ist sie so tolerant und lässt auch Russisch durchgehen. Warum tun sich viele russische Muttersprachler so schwer?
Gibt es Strafen?
Bei dem letzten geschilderten Fall könnte man das Geschäft anzeigen. Die Geschäftsführung erhält eine Mahnung, bei Wiederholung auch eine zweite. So werden diese angehalten, dafür zu sorgen, dass ihre Mitarbeiter eben noch einmal die Schulbank drücken und Ukrainisch lernen. Sollte es ein drittes mal eine Anzeige geben, kann die Geschäftsführung mit einer Strafe bis zu 25 000 UAH (rund 630 Euro) belegt werden, nicht die angestellte Person!
Update!
Eben fand ich noch dieses Video, was die Menschen in der Ukraine über das »Sprachproblem« denken (mit englischen Untertiteln):