Es ist eigentlich unfassbar, dass seit Jahren immer wieder dieses Thema als »Argument« für Russlands Handeln vor allem in deutschen Diskussionen auftaucht. Darum hier noch einmal und gaaaanz langsam für… ja, das steht schon in der Überschrift.
Gehen wir ein paar Jahre zurück in das Jahr 1990. Bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands zwischen den vier Siegermächten und den beiden deutschen Staaten sagte der damalige westdeutsche Außenminister folgendes:
“Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir da nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell.”
Anhören:
Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher im Februar 1990
Ja, das hat er gesagt und wenn jetzt Verteidiger der Osterweiterung schon meinen, dass es nur seine persönliche Meinung wäre, sage ich „Nein. Wenn er sagt ‚Wir waren uns einig…‘ dann war das Konsens unter ALLEN Beteiligten der Westmächte, auch den USA, Großbritannien und Frankreich. Zu dem Zeitpunkt gab es nämlich noch den Warschauer Pakt, in dem die späteren NATO-Mitglieder noch involviert und durch Verträge gebunden waren. Erst ein Jahr und einen Monat später, am 31. März 1991 wurde die Auflösung des Warschauer Paktes beschlossen. Und wie Michael Gorbatschow immer wieder bestätigte, war eine mögliche Osterweiterung der NATO bei den ganzen Verhandlungen überhaupt kein Thema. Einzige Frage war, ob auch nach der Wiedervereinigung das ganze Deutschland NATO-Mitglied bleibt oder nicht. Dem stimmte Moskau zu, unter der Bedingung, dass keine fremden Truppen in Ostdeutschland stationiert werden.
Und daran hält sich die NATO bis heute!
Haben nun die Gegner der Osterweiterung also Recht? Nein!
Es vergehen einige Jahre, die Sowjetunion ist Geschichte und wir haben in Europa mit Zustimmung Russlands weitere souveräne und an keinen Militärpakt gebundene Staaten. Diese Staaten haben jedoch in ihrer Geschichte Erfahrungen mit Russland gemacht und diese waren keineswegs positiv. Dann kommt es 1992 zum Südossetienkrieg, wieder kamen russische Truppen »zu Hilfe«, es folgte mit Beteiligung Russlands ein Krieg zwischen Georgien und Abchasien, 1994 begann der erste Tschetschenienkrieg.
Vor diesem Hintergrund äußerten viele Staaten den durchaus verständlichen Wunsch, dem Verteidigungsbündnis der NATO beitreten zu dürfen. Was machte nun die NATO? Sie nahm Gespräche mit Moskau auf, denn das war glasklar, dass es ohne die Zustimmung Moskaus keine Osterweiterung geben würde! Der damalige Präsident Russlands, Boris Jelzin sperrte sich auch noch jahrelang dagegen. Damals war noch eine Phase des »Tauwetters« in den internationalen Beziehungen, das gegenseitige Vertrauen wuchs, es kam sogar zur Zusammenarbeit zwischen der NATO und Russland und diversen friedlichen Abkommen.
Am 27. Mai 1997 kam es nach vielen Verhandlungen zwischen der NATO und Russland zu der NATO-Russland-Grundakte. Es waren die westlichen Staaten, die sozusagen in Vorleistung gingen und darauf vertrauten, dass sich Russland weiterhin zu mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung von Menschenrechten bekennt. Russland machte den Weg frei für andere Staaten, sich einem Verteidigungsbündnis ihrer Wahl anzuschließen, ohne Moskau darum um Erlaubnis bitten zu müssen. Einzige Bedingung war und ist, dass in den neuen Mitgliedsstaaten der NATO keine Atomwaffen stationiert werden. Und auch daran hat sich die NATO gehalten.
Natürlich spielen bei solchen Verhandlungen Eigeninteressen eine große Rolle. Und Russland war der eigentliche Gewinner. Sie bekamen umfangreiche Wirtschaftshilfen, wurden in die G7 (ab da G8) aufgenommen und Mitglied in der WHO.
Und wenn sich 2008 vor allem Deutschland und Frankreich nicht gegen die Mitgliedschaft der Ukraine in die NATO ausgesprochen hätte – angeblich, um Russland nicht zu reizen… – gäbe es da jetzt den Krieg, den Russland in der Ukraine entfacht hat?
Also liebe Leute, lasst euch keine Spaghetti auf die Ohren hängen! 🙂